Das betrifft fast alle Berufstätigen – früher oder später wechselt man den Job. Das was bei vielen besonders in Erinnerung bleiben kann, ist die Abschiedsbotschaft. Gabor Steingart, bis vor kurzem noch Mit-Herausgeber des Handelsblatt, hat ein besonderes Exemplar eines Abschiedsbriefs geschrieben. Ich freue mich, dass dieser Brief den Weg an die Öffentlichkeit gefunden hat, denn ich hatte hohe Erwartungen daran. Sie wurden nicht enttäuscht. Es macht Spaß, die Abschiedsmail zu lesen, denn ich halte sie für einen sehr motivierenden und optimistischen Appell, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Der ehrliche Dank an alle Weggefährten zeigt Größe.

kress.de hat den Brief veröffentlicht. Hier ist er.

(der Einfachheit halber habe ich ihn von kress.de kopiert)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

irgendwann müssen wir alle von unserer Firma Abschied nehmen. Heute bin ich dran. Alle reden von Disruption, ich lebe sie – wenn auch nicht ganz freiwillig. Aber unser Verleger, mein langjähriger Partner Dieter von Holtzbrinck, hat das mit sich so ausgemacht. Als 5-Prozent-Gesellschafter ist man in solchen Fällen zur Tapferkeit verpflichtet.

Wenn wir heute auf diese fast acht gemeinsamen Jahre in der Handelsblatt Media Group zurückblicken, sollten wir das mit Stolz und Dankbarkeit tun. Unsere kollektive Anstrengung hat sich gelohnt.

Die Transformation vom Druck- und Verlagshaus alten Typs zum modernen Medienunternehmen ist nicht vollendet, aber gut voran gekommen. Das neue Hauptquartier ist das Symbol dieser Verwandlung, die ich immer auch als die Wandlung von Menschen erlebt habe.

Ich denke dabei an unsere einst braven Dokumentare, die mit unfassbarem Elan und Unternehmergeist das Handelsblatt Research Institut gründeten und heute hochprofitabel ihren Beitrag leisten. Danke Bert Rürup für diese großartige Aufbauarbeit!

Ich denke an die vielen schreibenden Journalistinnen und Journalisten von WirtschaftsWoche und Handelsblatt, die für sich den Live-Journalismus auf der Bühne als neue Ausdrucksform entdeckt haben.

Ich denke an die einst sehr traditionellen Vertriebsmannschaften, die heute in die beiden Wirtschaftsclubs des Hauses eine Kreativität einbringen, von der sie früher wahrscheinlich selbst nicht wussten, dass sie in ihnen steckt.

Ich denke an die vielen hundert neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der vergangenen Jahre, die hochkarätige Konferenzen und Events planen und die Apps für das Digitalzeitalter bauen.

Ich denke aber auch an die internationalen Kolleginnen und Kollegen der Handelsblatt Global Edition, die Deutschlands großerer Wirtschaftszeitung im Zeitalter der Globalisierung im angelsächsischen Sprachraum Gewicht und Stimme geben.

Kurz und gut: Das Unternehmen befindet sich wieder auf Erfolgskurs. Wir wachsen. Wir stellen ein. Wir investieren. Diesen Kurs hätte ich gern mit Ihnen fortgesetzt. Die Pläne der Geschäftsführung dazu habe ich dem Verleger vorgestellt. Mein Abgang ändert nichts an der Notwendigkeit einer kraftvollen Digitalstrategie für die beiden großen Titel. Nostalgie, das haben wir oft genug gemeinsam festgestellt, ist kein Geschäftsmodell.

Ich gehe nicht von Bord ohne mich bei meinen Geschäftsführer-Kollegen Frank Dopheide, Ingo Rieper und Gerrit Schumann, aber auch bei Andrea Wasmuth, Annemarie Brems, Pascal Gerckens, Ines Alexander, Kerstin Jaumann und Christian Herp für die meist anstrengende, immer freundschaftliche und schließlich so erfolgreiche Zusammenarbeit zu bedanken. Ihr seid großartig! Als Freunde und als Kollegen!

Auch den Chefredakteuren und Herausgebern unseres Hauses, vornweg Miriam Meckel, Sven Afhüppe, Thomas Tuma, Beat Balzli und Andreas Kluth, aber auch unserem Schulleiter und meinem treuen Weggefährten Peter Brors und den neuen digitalen Köpfen – Sebastian Matthes und Lutz Knappmann – danke ich für ihr Engagement und ihre Inspiration. Eure journalistische Leidenschaft und unsere anregenden Debatten werde ich vermissen.

Mein Dank gilt auch den gewählten Vertreterinnen und Vertretern der Belegschaft. Unsere Betriebsräte haben sich als kritische, aber sehr klar am Gemeinwohl orientierte Arbeitnehmervertreter gezeigt. Die Transformation wäre ohne sie nicht denkbar gewesen. Dafür danke ich ganz persönlich Waltraud Wittfeld, Elke Gerfertz, Martina Held, Axel Hings und Hans Eschbach für das jahrelange Vertrauensverhältnis.

Schließlich bin ich auch meinem langjährigen Partner und Förderer Dieter von Holtzbrinck zu Dank verpflichtet. Es war seine Idee, mich zum Chefredakteur und schließlich zum Herausgeber, Vorsitzenden der Geschäftsführung und Anteilseigner zu berufen. Wir haben wunderbar harmoniert in all den Jahren, wobei die Arbeitsteilung klar war: Auf der einen Seite der oft ungestüme, zwanzig Jahre jüngere Journalist, der vor allem die Chancen der Transformation ins Zentrum seiner Strategie stellte. Ihm gegenüber der erfahrene und zugleich weitsichtige Verleger, der die Risiken sorgfältig gegeneinander abwog. Beides tat unserer Mediengruppe gut.

Was uns im Schlussakkord entfremdet hat, war seine Handhabung der Presse- und Meinungsfreiheit in Sachen Martin Schulz. Abberufung und Hausverbot: Der redaktionellen Unabhängigkeit wurde damit sicher kein Dienst erwiesen. Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden. Dieser Satz von Rosa Luxemburg beschreibt für mich das Grundverständnis eines liberalen Publizisten und ist daher nicht verhandelbar.

Allerdings sollten wir auch das Positive sehen: Die Chefredakteure, Herausgeber und Geschäftsführer des Hauses haben sich in der Stunde des Konflikts als Menschen mit Haltung erwiesen. Sie sprechen in ihrem Brief an Dieter von Holtzbrinck von einem „verheerenden Zeichen für die publizistische Unabhängigkeit, die weitere wirtschaftliche Entwicklung und die Unternehmenskultur des Hauses.“ Diese Gradlinigkeit hat mich beeindruckt. Das Unternehmen hat zwar seinen Chef verloren, aber nicht seinen Stolz.

Es geht jetzt nicht mehr um mich. Es geht um die Würde des Unternehmens und den Respekt gegenüber der anderen Meinung. Und es geht um die Zukunft dieser Mediengruppe, die Sie ab morgen kraftvoller denn je in die eigene Hand nehmen müssen. Zukunft ist das, was Sie daraus machen. Sie sind die Handelsblatt Media Group.

Und vielleicht bietet ja mein Abgang auch Chancen für Ihre eigene Entfaltung. Sie wissen ja: Wer immer im Mittelpunkt steht, steht immer allen im Wege. Nutzen Sie also die Möglichkeiten, die Ihnen diese wunderbare Firma bietet.

Falls Sie mich vermissen, muss Sie das nicht beunruhigen. Denn ich vermisse Sie auch. Sehr sogar!

Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr Gabor Steingart