„Politiker beherrschen die Kunst, so viele Worte zu machen, dass sie hinterher die Wahl haben, zu welchem sie stehen wollen“, sagte einmal der Kabarettist Dieter Hildebrand. Ganz gleich wo, ob im Parlament, auf Parteitagen oder in Talkshows – es gibt eine so viele Politikerreden, dass das öffentliche Interesse immer geringer zu werden scheint. Gerade in Zeiten mit einem immer größeren Informationsangebot haben es Politiker oft schwer, ihr Publikum zu erreichen. Mit einer Ausnahme: der Antrittsrede. Oder in Krisenzeiten, wie Corona wieder gezeigt hat.
Kaum eine politische Rede erlangt so viel Aufmerksamkeit wie die Antrittsrede. Ob die Regierungserklärungen von Angela Merkel, der Antrittsreden der amerikanischen Präsidenten oder die Thronreden der britischen Königin – Antrittsreden haben ein Millionenpublikum. Manche Sätze werden zu geflügelten Worten, wie „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ (Willy Brandt) oder „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst“ (John F. Kennedy). Keine politische Rede ist mit so vielen Erwartungen verbunden wie die erste Rede eines Regierungschefs.
Die deutschen Bundeskanzler neigen dagegen dazu, ein umfassendes Regierungsprogramm vorzustellen. Ihre Regierungserklärungen sind im internationalen Vergleich die längsten und detailliertesten. So hat das Klaus Stüwe in seinen Publikationen analysiert. Und nicht nur viele Bundeskanzler sondern auch deutsche Bundespräsidenten halten Antrittsreden. Die letzteren thematisieren aber gemäß ihren Aufgaben keine tagespolitischen Themen und auch keine „4-Jahrespläne“ sondern appellieren als moralisches Gewissen an die Geisteshaltung des Volkes.
Die britische Königin verliest ein sehr sachliches Regierungsprogramm, das vom Premierminister entworfen wurde. Es enthält nur wenige konkrete Ankündigungen, die dann aber in der Amtszeit des Regierungschefs meist komplett realisiert werden können. Ganz anders der Stil bei der Inauguralrede amerikanischer Präsidenten. Auch diese schreiben ihre Reden selten selbst, sondern verlassen sich auf „Ghostwriter“, die genau testen, welche Stimmungen die Ansprache erzeugen soll. Hier geht es weniger um detaillierte Regierungsvorhaben, sondern um die symbolische Bekräftigung amerikanischer Werte. Stüwes Fazit: Nicht die Inszenierung des Amts-Antritts einer neuen Regierung ist das Problem, sondern Versprechungen, die nicht eingehalten werden können.
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